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Forschungsgruppe Zeitgeschichte
Prof. Dr. Ulrich Herbert
Albert-Ludwigs-Universität

Postadresse:
Historisches Seminar
D-79098 Freiburg

Tel.: +49 (0)761-203-3439

Büros:
Erbprinzenstraße 13
79098 Freiburg

 

Badische Zeitung, 9. April 2015: BZ-Interview mit Prof. Dr. Ulrich Herbert, Freiburg, zu den griechischen Reparationsforderungen

Was ist von den griechischen Reparationsforderungen für im Zweiten Weltkrieg begangenes Unrecht Nazi-Deutschlands zu halten? Und wie soll Berlin reagieren? Karl-Heinz Fesenmeier sprach darüber mit dem Freiburger Historiker Ulrich Herbert.

 

BZ: Sind die griechischen Ansprüche berechtigt?

Herbert: Ja und nein. Nein – weil es dafür ein klare Rechtsgrundlage nicht gibt, nachdem die Londoner Schuldenkonferenz von 1953 bestimmt hat, dass die Reparationsfrage erst nach einem abschließenden Friedensvertrag geregelt wird, den es aber nie gegeben hat. Ja – weil Griechenland in der deutschen Besatzungszeit tatsächlich schwer geschädigt worden ist und die spezifische Situation der Nachkriegszeit es mit sich gebracht hat, dass die Bundesrepublik von Reparationsforderungen weitgehend befreit worden ist.

 

BZ: War der 2+4-Vertrag zur Vereinigung Deutschlands 1990 kein Friedensvertrag?

Herbert: Nein. Die juristische Formulierung war so gehalten, dass das Zwei-plus-Vier-Abkommen nicht als Friedensvertrag, sondern als ein "Als-ob-Friedensvertrag" galt, um so die Reparationsfrage nicht neu aufzurollen.

 

BZ: Warum nicht?

Herbert: Weil es unabsehbare Folgen hätte. Die Reparationsfrage hängt sehr stark mit dem Kalten Krieg zusammen. Weil sich die Siegermächte nach 1945 nicht auf konkrete Summen festlegen konnten, einigten sie sich darauf, dass sie ihre Reparationen jeweils aus den ihnen zugewiesenen Besatzungszonen herausholen sollten. Anders als die Sowjetunion in der DDR haben die Westmächte in den Westzonen auf Reparationsentnahmen im großen Stil verzichtet, weil sie glaubten, dass die europäische Wirtschaft ohne die deutsche nicht wieder auf die Beine kommen würde. Und man brauchte ein starkes Deutschland als Verbündeten im Kalten Krieg.

 

BZ: Gab es je einen offiziellen Verzicht der Westmächte auf Reparationen?

Herbert: Nein, den gab es nicht. Aber bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen war das ein großes Thema. Letztlich wurde ein Aufrollen der Reparationsfrage als schädlich für das wirtschaftliche und politische Zusammenwachsen in Europa angesehen.

 

BZ: Dann könnten also theoretisch diverse Länder, wie jetzt Griechenland, noch Reparationen fordern?

Herbert: Alle von Deutschland einst besetzt gewesenen Länder könnten das tun. Manche tun es auch, wie etwa Italien schon mehrfach. Allerdings hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag 2009 solche Forderungen an Deutschland zurückgewiesen. Aber nach wie vor sind für die großen, bis heute in Griechenland unvergessenen Verbrechen der deutschen Besatzer, etwa in dem Ort Distomo, keine Entschädigungsleistungen gezahlt worden. Andererseits können nach dem Prinzip der sogenannten Staatenimmunität einzelne Bürger keine Forderungen an einen Staat stellen. Das geht immer nur von Staat zu Staat.

 

BZ: Die Griechen beziehen sich mit ihrer Forderung auch auf einen Zwangskredit an Deutschland. Ist das berechtigt?

Herbert: Das ist schwierig, weil es nur auf einer einzigen Quelle beruht, einer damaligen Abrechnung deutscher Behörden am Ende des Krieges. Die Zwangsanleihe wird dort als ein Soll gesehen, dem das Haben gegenübergestellt werden sollte, weil es im Krieg von Deutschland auch erhebliche Hilfsleistungen an Griechenland gegeben habe. Mein Kollege Götz Aly hat aber kürzlich darauf hingewiesen, dass auf eventuelle Reparationen eher die Nachfahren der griechischen Juden einen Anspruch hätten – nicht jedoch der griechische Staat, weil der das erhebliche Vermögen der von den Deutschen deportierten Juden von Thessaloniki beschlagnahmt und veräußert hat, um seine Staatsfinanzen zu stabilisieren und einen Teil der Besatzungskosten zu zahlen.  Und anschließend hat die Deutsche Reichsbank fünf Tonnen Gold, das Juden in anderen Ländern geraubt worden war, nach Griechenland gebracht, um die Drachme zu stabilisieren. Das Gold ist dann in Griechenland geblieben. Man sieht, wer dieses Fass aufmacht, bekommt Probleme von ganz ungeahnten Größenordnungen.

 

BZ: Angenommen, Deutschland würde an Athen eine Reparationszahlung überweisen, was wäre die Folge?

Herbert: Das würde bedeuten, dass alle ehemaligen Kriegsgegner an Deutschland entsprechende Forderungen stellen könnten. Man kann ja die griechischen Forderungen nicht anders bewerten als die der Niederlande, Frankreichs oder Polens. Wenn Griechenland 300 Milliarden fordert, was könnte dann Russland fordern? 100 Billionen? Wie soll das gerechnet werden? Das ist alles ziemlich absurd.


BZ: Wie soll sich die Bundesregierung verhalten?

Herbert: Zunächst mal muss man die griechische Finanzkrise und die Reparationsfrage voneinander trennen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Letztlich kann man moralisch begründete Forderungen anderer Länder an Deutschland auch nur politisch lösen, nicht juristisch. Die Bundesregierung ist immer gut damit gefahren, wenn sie moralisch begründete Forderungen nicht rundweg abgelehnt, aber die sich daraus ergebenden juristischen Fragen für irrelevant erklärt hat.

 

BZ: Wie beurteilen Sie das griechische Vorgehen?

Herbert: Wenn ein Ertrinkender nach Rettungsringen sucht, kann man ihn dafür nicht kritisieren.